2009: 60 JAHRE NATO – 60 JAHRE GRUNDGESETZ NIE WIEDER KRIEG OHNE UNS !

Das Friedenspotenzial des Grundgesetzes und der UN-Charta 1. 1. Das Grundgesetz ist eine Verfassung mit schwindendem Friedenspotenzial. Nie wieder Krieg!: das war anfangs auch verfassungsrechtlich das Versprechen der entmilitarisierten Bundesrepublik nach den deutschen Menschheitsverbrechen während der Zeit des Nationalsozialismus und im 2. Weltkrieg. Die Wiederbewaffnung 1956 geschah noch mit der Einschränkung, dass Streitkräfte „zur Verteidigung“ aufgestellt werden (Art. 87 a GG), die Notstandsverfassung von 1968 bahnte den Weg für den Einsatz von Soldaten auch im Inneren. Mit Verteidigung ist – so Art. 115 a I GG – klassische Landesverteidigung gemeint: die Abwehr eines Angriffs oder unmittelbar drohenden Angriffs auf das eigene Land oder auf Grund völkerrechtlicher Bündnisverpflichtungen auf das Bündnisgebiet. Verfassungsrechtlich und politisch herrschend war deshalb noch bis zum 2. Golfkrieg 1990/91 die Auffassung, weltweite out-of-area-Einsätze der Bundeswehr seien mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. 1. 1. Durch Art. 25 GG ist das Völkerrecht und damit das Friedenssicherungsrecht der UN-Charta Bestandteil deutschen Rechts und geht den deutschen Gesetzen vor. Danach ist im Umgang der Staaten miteinander Gewalt oder Androhung von Gewalt verboten (Art. 2 IV UN-Charta). Davon gibt es nur zwei Ausnahmen: das Selbstverteidigungsrecht „im Fall eines bewaffneten Angriffs“ (Art. 51 UN-Charta) und vom Sicherheitsrat zur Wahrung des Weltfriedens beschlossene Zwangsmaßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen (Art.42,39 UN-Charta). Sogar das Selbstvertei- digungsrecht ist nur ein vorläufiges Recht des angegriffenen Staates, bis der Sicher- heitsrat Maßnahmen zur Wiederherstellung des Friedens trifft. 1.3 Art.26 GG verbietet, einen Angriffskrieg – einen Krieg außerhalb des Friedenssicherungs- systems der UN-Charta – auch nur vorzubereiten. 1. 1. Streitkräfte können im Verteidigungsfall nur eingesetzt werden, wenn dieser mit Zwei- drittelmehrheit festgestellt wird (Art. 115 a I GG). Kriegsteilnahme weltweit kann der Bundestag dagegen mit einfacher Mehrheit beschließen. 1. 1. Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen ist schon in der ursprünglichen Fassung des Grundgesetzes ein Grundrecht ( Art. 4 III GG). Es ist verfassungsgeschichtlich älter als die Entscheidung zur Wiederbewaffnung. Art. 24 II Grundgesetz: Verfassungsrichterrecht für weltweite Einsätze deutscher Streitkräfte – Nato-Land ist weltweit überall 1. 1994 hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den Einsatz deutscher Streitkräfte über Landesverteidigung oder Bündniseinsätze hinaus verfassungsrechtlich für zulässig erachtet. Nach Art. 24 II GG kann sich der Bund zur Wahrung des Friedens einem System kollektiver Sicherheit einordnen. Daraus leitet das Verfassungsgericht die Kompetenz ab, Streitkräfte in kollektiven Sicherheitsbündnissen zielkonform zur Wahrung des Friedens einzusetzen. Dass die Nato als gegen äußere Gegner gerichtetes Verteidigungsbündnis nur schwerlich als System kollektiver Sicherheit zu verstehen sei – solche Systeme wollen die Sicherheit ihrer Mitglieder untereinander fördern – , fand beim Verfassungsgericht kein Gehör. Anfangs gab es aber noch den Widerstand der bei der Entscheidung überstimmten Richter gegen eine schleichende Erweiterung der Nato ohne Änderung des Nato-Vertrages von einem geografisch begrenzten Verteidigungsbündnis zu einem Militärbündnis für weltweite Kriegseinsätze. 2007 in der Entscheidung zum Afghanistan-Einsatz spielt dies keine Rolle mehr. Das Gericht räumt nun der Regierung einen sehr weiten rechtlich nicht kontrollierbaren Beurteilungsspielraum darüber ein, ob ein Einsatz irgendwo auf der Welt friedenssichernd ist und ob Aktionen im Natoverbund einen Bezug zum euro-atlantischen Verteidigungsgebiet wahren. Der Frage, wie strikt dabei die UN-Charta zu beachten ist, beantwortet das Gericht widersprüchlich und uneindeutig. 2.1 Art. 24 II GG enthält keine genaue Definition der Einsatzvoraussetzungen. UN-Einsätze sind durch die Charta hinreichend bestimmt und an die Entscheidungskompetenz des Sicherheitsrats gebunden. Weltweite Militäraktionen im Natobündnis sprengten dagegen die ursprünglich durch die Vertragswerke vereinbarte Verteidigungskonzeption. 4 Richter meinten deshalb 1994 noch, der weltweite Einsatz der Bundeswehr in integrierten Nato-Aktionen setze den Natovertrag „auf Räder“ und sei deshalb erst nach Vertragserweiterung zulässig: Ein neues Zustimmungsgesetz des Bundestages wäre nötig geworden und ein von der politischen Mehrheit unerwünschter öffentlicher Grundsatz- streit über die Entwicklung der Bundeswehr von einer Verteidigungs- zu einer weltweit operierenden Interventionsarmee. Die 4 anderen für die Entscheidung maßgeblichen Richter votierten demgegenüber für eine dynamische Interpretation der Verteidigungs- ziele über das ursprüngliche Bündnisgebiet hinaus. Die Entscheidung zum Afghanistan- Einsatz 2007 räumt nun der Regierung einen weiten der rechtlichen Kontrolle entzogenen Beurteilungsspielraum darüber ein, was friedenssichernd ist und ob weltweite Einsätze noch einen räumlichen Bezug zur Nato haben. 2.2 Die Bundeswehr ist auch bei weltweiten Einsätzen gemäß Art. 24 II GG kraft Verfassungs- tradition „Parlamentsstreitmacht“. Während Einsätze zur Landesverteidigung einer 2/3- Mehrheit bedürfen, sind andere Militäraktionen in einem System kollektiver Sicherheit von keiner qualifizierten Mehrheit abhängig. Nach der Grundsatzentscheidung von 1994 für die „Parlamentstreitmacht“ kann die Bundesregierung bei Gefahr im Verzuge sogar ohne Vorabermächtigung des Bundestages einen Streitkräfteeinsatz beschließen oder an Bündnisbeschlüssen mitwirken. Der Bundestag hat dann jedoch ein zwingendes Rückholrecht. Darüber hinaus deutete das Verfassungsgericht 1994 noch an, bei integrierten Bündniseinsätzen könne es „angezeigt sein, im Rahmen völkerrechtlicher Verpflichtungen die parlamentarische Beteiligung nach der Regelungsdichte abzustufen, in der die Art des Einsatzes der Streitkräfte bereits durch ein vertragliches Programm militärischer Integration vorgezeichnet ist“. Daran anknüpfende Vorschläge, bei Nato- oder EU-Bündniseinsätzen nur noch ein Rückholrecht des Bundestages vorzusehen – das dann praktisch kaum zu realisieren wäre – , werden z.B. in der „Sicherheitsstrategie für Deutschland“ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom Mai 2008 erneut aufgegriffen mit der Forderung, die Bundeswehr müsse als Teil eines multinationalen Eingreifverbandes zur militärischen Krisenbewältigung auch dann kurzfristig einsatzfähig sein, wenn eine Entscheidung des Bundestages nicht rechtzeitig herbeigeführt werden könne. Dem steht jedoch inzwischen das Awacs-Urteil des Verfassungsgerichts vom 7.5.2008 entgegen, mit dem die Entscheidungskompetenz des Bundestags – zur Klarstellung missdeutbarer Tendenzen der Entscheidung von 1994 – offenbar gestärkt werden sollte. Danach obliegt dem Bundestag grundlegend und konstitutiv die Verantwortung für den bewaffneten Außeneinsatz der Bundeswehr. Dieser wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt darf nicht restriktiv zu Gunsten der Regierung, sondern muss im Zweifel parlamentsfreundlich ausgelegt werden. Die Frage, ob ein Einsatz die Qualität einer bewaffneten Auseinandersetzung erreicht, ist gerichtlich voll überprüfbar. Ein nur eingeschränkt nachprüfbarer Einschätzungs- und Prognosespielraum der Bundesregierung besteht hier nicht. So erhält der politische Beurteilungsspielraum der Regierung bei der Auslegung politischer Bündnisverpflichtungen das Gegengewicht der unabdingbaren Entscheidungskompetenz des Bundestages über bewaffnete Einsätze. Die Entscheidungskompetenz des Parlaments geht somit der Bündnisfreundlichkeit vor, wenngleich bisher Bündniszusagen der Regierung in der praktischen Politik vom Bundestag regelmäßig nachvollzogen werden. 2.3 Art. 24 II-Einsätze müssen der Friedenssicherung dienen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind sie deshalb grundsätzlich an die UN-Charta gebunden und müssen insbesondere die primäre Verantwortung des UN-Sicherheitsrates für den Weltfrieden respektieren. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch auch hier bereits eine Hintertür geöffnet. Denn im Jugoslawienkrieg soll nach Auffassung des Gerichts die Autorität des Sicherheitsrats schon dadurch gewahrt worden sein, dass die Nato nach Kriegsbeginn ohne vorherige legitimierende UN-Resolution wenigstens die Beendigung auf der Grundlage einer Resolution des Sicherheitsrates anstrebte und sich bei der Begründung der Bombardierung Jugoslawiens auf andere Resolutionen stützte, obwohl diese militärische Gewalt nicht erlaubten. Dies lässt befürchten, dass das Bundesverfassungsgericht in Zukunft Bestrebungen, das Friedenssicherungssystem der UN-Charta weiter auszuhöhlen, keinen Widerstand entgegen setzen wird Friedensvölkerrecht unter Druck 1. Das Friedenspotenzial des Grundgesetzes und das Friedenssicherungssystem der UN-Charta stehen politisch und rechtlich unter zweifachem Druck: * durch die extensive Inanspruchnahme eines Selbstverteidigungsrechts in der US-amerikanischen Doktrin des vorbeugenden Schlages , die immer offener auch in militärischen Strategiepapieren der Nato und der EU, in den Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundesregierung und nun auch im Verteidigungsweißbuch 2006 zu finden ist, * durch die Behauptung eines Rechts auf humanitäre Intervention ohne UN-Mandat wie im Jugoslawienkrieg, – beides verbunden mit der Einschätzung, die Vereinten Nationen, insbesondere der Sicherheitsrat würden der neuen Herausforderung legitimer Verteidigung gegen internationalen Terrorismus oder humanitäre Katastrophen durch Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht gerecht, vor allem nicht rechtzeitig. 3.1 Nach geltendem Völkerrecht muss der zur Selbstverteidigung berechtigende Angriff gegenwärtig und überwältigend drohen, ein Abwarten darf nicht mehr zumutbar sein und zur Abwehr nur noch militärische Gewalt in Frage kommen.Die Bush-Regierung setzte an die Stelle der unmittelbaren Bedrohung die bloße Möglichkeit, dass ein von ihr selbst so definierter Schurkenstaat Massenvernichtungswaffen einsetzen oder weitergeben könnte, ohne dass ein Angriff unmittelbar bevorstehen oder auch nur eine Angriffsabsicht nach- gewiesen werden müsste. Dadurch wird das allgemeine Gewaltverbot der UN-Charta zu Gunsten einer allgemeinen Präventivgewaltermächtigung aufgehoben. Massenvernich- tungswaffen gibt es in vielen Staaten mit zum Teil scheußlichen Diktatoren. Die Doktrin des vorbeugenden Schlages gäbe fast jedem Staat das Recht, gegen sehr viele andere Staaten Krieg zu führen. An die Stelle des Friedensvölkerrechts der UN-Charta träte das Vorrecht des Stärkeren. 1. 1. Der Irakkrieg 2003 war nach allen Kriterien des Selbstverteidigungsrechts völkerrechts- widrig. Er hat zwar ein diktatorisches Regime von vielen beseitigt, jedoch um den Preis wachsenden inneren Terrors, der auch internationalen Terroristen ein Operationsfeld bietet. Die Entwicklung im Irak widerlegt die These vom Versagen des Friedenssiche- rungssystems der Vereinten Nationen. Vielmehr zeigt sie, dass mit internationalem Druck unter der Kontrolle der UNO sowohl die Machtansprüche eines Diktators nach außen als auch sein Streben nach Massenvernichtungswaffen eingedämmt werden konn- ten. Der Irakkrieg ist nicht zuletzt ein Beispiel dafür, wie ein umdefiniertes Recht auf Selbstverteidigung ökonomischen Interessen dienstbar gemacht werden kann. 1. 1. Humanitäre Intervention meint die Anwendung bewaffneter Gewalt zur Verhinderung oder Beseitigung massiver Menschenrechtsverletzungen in einem fremden Staat. Einer- seits kennt die Geschichte der Menschen Beispiele extremer Menschheitsverbrechen, die nach Abhilfe durch die Völkergemeinschaft rufen: der Holocaust ist ein Beispiel unserer Geschichte, der Genozid in Ruanda ein jüngeres. Andrerseits ist die Behauptung einer „humanen Intervention“ häufig der Deckmantel für militärisches Eingreifen zur Förderung eigener machtpolitischer oder ökonomischer Interessen wie etwa die „Hinterhof“- Interventionen der USA in Lateinamerika. Die humanitäre Intervention bedarf deshalb zur Verhinderung interessenkorrupter Selbstermächtigung ganz besonders einer Legiti- mation durch die Völkergemeinschaft mit Gewaltmonopol der Vereinten Nationen. 3.4 Das Völkerrecht stellt jetzt Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegs- verbrechen nachträglich beim Internationalen Strafgerichtshof unter Strafe, – nicht aner- kannt von der Hegemonialmacht USA. In dieser Logik sollten massive Menschenrechts- verletzungen auch präventiv als „Bedrohung oder Bruch des Friedens“ im Sinne des Art. 39 UN-Charta beurteilt werden und dem Sicherheitsrat die zur Abwehr erforderlichen Handlungsoptionen eröffnen,wie es seit dem vorigen Jahrzehnt in einigen Fällen geschah. 3.5 Die strikte Respektierung der UN-Charta ist eine notwendige, aber noch nicht ausreichen- de Bedingung zur Wahrung des Weltfriedens. Die Machtstruktur des Sicherheitsrates mit dem Vorrecht der Vetomächte schließt nicht aus, dass unterschiedliche Großmachtinter- essen militärische Interventionen bestimmen. Dennoch vergrößert die Verrechtlichung der Gewaltanwendung durch die UN-Charta mit den jeweiligen Verfahren im Sicherheitsrat die Chancen friedlicher Konfliktlösung. 1. 1. Das Friedensvölkerrecht darf nicht abgebaut, es muss ausgebaut werden. In den Ent- scheidungsprozessen der Vereinten Nationen müssen Vorrechte abgebaut werden und Gleichberechtigung herrschen. Von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen bedrohten Menschen muss präventiv die Individualklage zu einem internationalen Friedens- und Menschenrechtsgerichtshof eröffnet werden. An die Stelle militärischer Handlungsoptionen durch extensive Auslegung des Selbstverteidigungsrechts und vorgeblich humanitäre Interventionen muss endlich eine international organisierte präventive Friedenspolitik treten: das vergeudete Potenzial weltweiter Rüstungswettläufe muss umgewidmet werden für einen globalen Wettbewerb gegen Hunger, Krankheit, Hunger, Krankheit, Ausbeutung und Armut. 1. 1. Strategiepapiere und praktische deutsche Militärpolitik Alle für deutsche Streitkräfte zur Zeit bedeutsamen Militärstrategiepapiere richten sie auf weltweite Interventionen aus. Die Verteidigungsweißbuch 2006 beschwört die Fähigkeit der Bundeswehr zu gleichzeitig mehreren robusten internationalen Einsät- zen mit hoher Kampfintensität in multinationalen Kampfverbänden. Die Einsatzziele er- fordern umfangreiche neue Aufrüstungsprojekte bei Kampf- und Transportflugzeugen, Hubschraubern, Flugabwehrraketen, Fregatten, Korvetten, lasergeführten Bomben und weltweiten Aufklärungssystemen. Die Aufgabe herkömmlicher Landesverteidigung stellt 1. 1. sich dagegen nur noch als Alibi. Die Strategiepapiere weichen einer strikten Festlegung auf den Vorrang des Friedens- sicherungssystems der Vereinten Nationen aus. Sie enthalten zwar Bekenntnisse zur UN-Charta und zur Verantwortung des Sicherheitsrats für den Weltfrieden, andrerseits aber auch Thesen in enger Nachbarschaft zur Doktrin des vorbeugenden Schlages. So 1. 1. soll nach dem Verteidigungsweißbuch 2006 „Sicherheitsvorsorge durch präventives Handeln gewährleistet“, nach den Verteidigungspolitischen Richtlinien die deutsche Beistandsverpflichtung für Bündnispartner schon akut werden bei „Krisen und Konflikten, die zu einer konkreten Bedrohung eskalieren können“, also weit im Vorfeld eines Angriffs. Das auf EU-Interventionen vorbereitende Solana-Papier sprach von „Verteidigungslinien in fremden Ländern“. Spätestens seit 1999 gehen die strategischen Überlegungen in der Nato unverhüllt in Richtung einer Umwidmung des Verteidigungsbündnisses in ein weltweit aus eigener Legitimation – auch zur Durchsetzung ökonomischer Interessen – ohne Bindung an die UN-Charta operierendes Interventionsbündnis: ohne ausdrückliche Änderung des Nato-Vertrages, eine Entwicklung, die das Bundesverfassungsgericht meinte verfassungsrechtlich legitimieren zu sollen (oben 2 ). Die praktische deutsche und europäische Militärpolitik seit dem Ende des Kalten Krieges * stellt das verbleibende Friedenspotenzial des Grundgesetzes und das Friedenssystem der UN-Charta in Frage: Die Teilnahme am Jugoslawienkrieg ohne UN-Mandat war ein Bruch der UN-Charta * und damit völkerrechtswidrig. Die Unterstützung der USA im Irakkrieg 2003 mit der Infrastruktur unseres Landes, der Gewährung von Überflugrechten, der Hilfe des Bundesnachrichtendienstes und der Ersetzung von Kriegsteilnehmern bei der Bewachung von US-Militäranlagen war Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. * Die vorige Bundesregierung vermied beinahe jede völkerrechtliche Kritik an der völkerrechtswidrigen Kriegspolitik der Bündnishegemonialmacht USA. Sogar Menschenrechts- und Kriegsverbrechen wie in Guantanamo und Abu Ghraib wurden nahezu kritiklos beschwiegen, die Verschleppung deutscher Staatsangehöriger und Foltertransporte durch unser Land hingenommen. Die Forderung der jetzigen Kanzlerin, Guantanamo „langfristig“ aufzulösen, entbehrte jeder politischen und rechtsethischen Konsequenz; sie setzte die lavierende Politik einer Kriegsteilnahme ohne eigene Soldaten fort. Das Bündnis ist wichtiger als Menschenwürde. – Die Supranationalisierung deutscher Beteiligung an weltweiten Interventionen schmälert die Einflusschancen des Bundestags auf die deutsche „Parlamentsstreit- macht“: Bündnisfähigkeit ist für viele wichtiger als demokratische Kontrolle. 4.4 Angesichts des Kriegspotenzials der einschlägigen Strategiepapiere und der Völkerrechts- verstöße der praktischen deutschen Kriegspolitik ist es konsequent, dass sich jetzt die Regierung der Großen Koalition weigert, deutsche Kriegsbeteiligung der Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs – gemäß Art.92 UN-Charta Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen – zu unterstellen. In der Erklärung mit der sich Deutschland der Zuständigkeit des IGH generell unterwirft, werden Streitigkeiten ausdrücklich ausgenom- men, welche die Verwendung von Streitkräften im Ausland, die Mitwirkung hieran oder die Entscheidung darüber betreffen, daraus herrühren oder damit in Zusammenhang stehen, ebenso solche Streitigkeiten, welche die Nutzung des deutschen Hoheitsgebiets einschließlich des Luftraums und der Seegebiete für militärische Zwecke betreffen. Mit diesem doppelten „Streitkräfte-Vorbehalt“ verstößt die Bundesregierung gegen Art. 24 Abs.3 Grundgesetz, der vorschreibt, dass Deutschland einer „umfassenden“ internationalen Gerichtsbarkeit beitritt. „Umfassend“ bedeutet,dass zur Zuständigkeit des Völkerrechtsgerichts alle Sachgebiete gehören, die Gegenstand eines zwischenstaatlichen Streits sein können, also auch und vor allem militärische Konflikte. So haben zum Beispiel Österreich und die Niederlande keinen militärischen Vorbehalt erklärt. Die eingeschränkte Unterwerfungserklärung der Bundesregierung unter die Zuständigkeit des IGH verstößt auch formal gegen Art. 59 II GG. Weil sie neue völkerrechtliche Rechte und Pflichten begründet und zudem die „politischen Beziehungen“ des Bundes regelt, hätte der Bundestag in einem Zustimmungsgesetz zustimmen müssen. Offenbar scheut die Regierung der Großen Koalition die parlamentarische und öffentliche Debatte darüber, dass auch in Zukunft weltweite deutsche Kriege ohne die Kontrolle einer inter- nationalen Gerichtsbarkeit möglich bleiben sollen, wo schon national die verfassungsge- richtliche Rechtskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht weitgehend ebenfalls unterbleibt (oben 2.). Schwindendes Friedenspotenzial des Grundgesetzes – Kriegspotenzial EU-Reformvertrages 1. Ebenso wie die gescheitert EU-Verfassung enthält das Vertragswerk von Lissabon die Grundlagen für den weltweiten Streitkräfteeinsatz einer aufstrebenden Weltmacht vor, ohne dabei die Bindungswirkung des Völkerrechts und der Charta der Vereinten Nationen für das eigene Handeln eindeutig zu klären. 1. 1. Historisch einmalig ist Aufrüstung, „die Verpflichtung zur schrittweisen Verbesserung militärischer Fähigkeiten“, eine Grundpflicht der Mitgliedsstaaten mit einer Europäischen Verteidigungsagentur als Koordinationsorgan (Artikel 27). 1. 1. Eine gemeinsame Verteidigungspolitik der Union, die der Rat einstimmig beschließen muss, ist ein elementares Vertragsziel . Dafür haben die Mitgliedsstaaten Kapazitäten zur Verfügung zu stellen. Vor der Vereinbarung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik können einzelne Staaten untereinander festere Verpflichtungen eingehen und so eine strukturierte Zusammenarbeit begründen, insbesondere für Missionen mit höchsten Anforderungen (deutsch/französisches Kerneuropakonzept). 1. 1. EU-Streitkräfte können zu Kampfeinsätzen im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen eingesetzt werden, wobei mit allen diesen Missionen zur Bekämpfung des Terrorismus unter anderem auch durch die Unterstüt- zung für Drittstaaten bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet bei- getragen werden kann (Artikel 28). Die materiellen Einsatzvoraussetzungen bis hin zu Bürgerkriegsinterventionen bleiben offen. Die Grundsätze der UN-Charta gelten zwar als Orientierung, ohne jedoch zu klären, ob sie für europäische Interventionen zwingendes Recht sind. Nach dem Bruch der UN-Charta im Jugoslawien- und Irakkrieg durch Länder der EU legt dies die Absicht der Vertragspartner nahe, weltweite Interventionen auch aus eigener Legitimation zu ermöglichen. 5.4 EU-Streitkräfte sind „Regierungsstreitkräfte“, nicht wie die Bundeswehr „Parlaments- streitkräfte“. Für die Einsatzentscheidung des EU-Ministerrats ist Einstimmigkeit erfor- derlich. Anders als der Bundestag, ohne dessen Zustimmung ein Bundeswehreinsatz nicht erlaubt ist, wird das Europäische Parlament lediglich zu den wichtigsten Aspekten regelmäßig angehört und über die grundlegenden Weichenstellungen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf dem Laufenden gehalten. 1. 1. Die EU-Verträge von Lissabon geben der Bundesregierung keine über die Begrenzungen des deutschen Verfassungsrechts hinausgehenden Kompetenzen für den weltweiten Einsatz deutscher Streitkräfte. Die Bundesregierung könnte ihre Stimme im europäischen Ministerrat nur im Einklang mit dem Grundgesetz abgeben, d.h. in strikter Bindung an die UN-Charta und in der Regel nicht ohne Vorabermächtigung des Bundestages. 1. 1. Die EU-Reformverträge entsprechen im Kern der von den Staats- und Regierungschefs der EU im Dezember 2003 einvernehmlich verabschiedeten Europäischen Sicherheitsstrategie, die weltweit frühzeitiges militärisches Handeln nicht ausschließt und sich damit der Präventivkriegsstrategie der National Security Strategie der USA annähert. Auf dieser Grundlage wird zur Zeit im Anschluss an den sogenannten „Head-Line-Goal 2004“ eine europäische Einsatztruppe mit bis zu 60.000 Soldaten aufgebaut, die spätestens 2010 unter einheitlichem EU-Kommando einsatzbereit sein soll, daneben 13 „battle-groups“ von jeweils 1.500 Elitesoldaten. Das auf der Basis der Europäischen Sicherheitsstrategie konzipierte „European Defense Paper“ konkretisiert mögliche Einsatzszenarien der Zukunft: nukleare Optionen werden dabei ebenso wenig ausgeschlossen wie weltweite Interventionen zur Sicherung des europäischen Wohlstands beispielsweise bei Störung der Ölversorgung oder anderer Waren- und Handelsströme. Das Verteidigungsweißbuch 2006 nimmt diese Handlungsoption für die Bundeswehr ausdrücklich auf: Krieg für Öl und andere Rohstoffe wird so vorausgeplant. In einem an Barack Obama gerichteten Strategiepapier erklärt sich die EU nun bereit, stärker als bisher bei internationalen Militäreinsätzen mitzuwirken, wobei rechtliche oder technische Schwierigkeiten bei Interventionen „keine Entschuldigung für Nichthandeln sein dürfen“. Deutschlands nukleare Teilhabe und die nukleare Erstschlagstrategie 1. 1. Der Internationale Gerichtshof hat 1996 in einem völkerrechtlichen Gutachten auf Anforderung der UN-Generalversammlung gemäß Art. 96 UN-Charta entschieden, der Einsatz von Atomwaffen verstoße grundsätzlich gegen das humanitäre Kriegsvölker- recht, weil sie eine Unterscheidung zwischen kämpfender Truppe und Zivilbevölkerung unmöglich machen würden, gegen das Verbot unnötiger Grausamkeiten und Leiden ver- stießen und auch unbeteiligte und neutrale Staaten in Mitleidenschaft zögen. Der IGH hat lediglich die Frage offen gelassen, ob die Androhung oder der Einsatz von Atomwaffen in einer extremen Selbstverteidigungssituation, in der das reine Überleben eines Staates auf dem Spiel stände, rechtmäßig oder unrechtmäßig wäre. 1. 1. Danach ist die nukleare Erstschlagstrategie als Teil der gegenwärtigen Nato-Strategie, an der Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Sarkozy unlängst in einer gemeinsamen Erklärung zur Zukunft der Nato ausdrücklich festhielten, völkerrechtswidrig. Trotzdem lagern in Deutschland noch mindestens 20 Atombomben. Dies verstößt auch gegen den Nichtverbreitungsvertrag von Atomwaffen. Nach der „Konzeptionellen Leitlinie zur Weiterentwicklung der Bundeswehr vom 12.7.1994“ hält Deutschland 6 Staffeln mit Tornado-Flugzeugen bereit für die sogenannte deutsche nukleare Teilhabe. Diese besteht darin, dass im Einsatzfall deutsche Tornados mit Atomwaffen beladen und von deutschen Piloten ins Ziel geflogen werden sollen. Die derzeitige Bundesregierung will die Geschwader für nukleare Teilhabe nicht auflösen und wurde dabei bis vor kurzem von allen Bundestagsparteien mit Ausnahme der Linken unterstützt. Neuerdings mehren sich im Bundestag allerdings in fast allen Fraktionen Stimmen für den Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland, ohne dass dies bisher zu einer Änderung der Strategie deutscher nuklearer Teilhabe geschweige denn zur Ablehnung der nuklearen Erstschlagstrategie geführt hätte. Gewissensfreiheit gegen Krieg 7 Das Grundrecht der Gewissensfreiheit (Art. 4 I GG) schützt jeden Soldaten davor, Befehle zu befolgen, die ihn in Gewissensnot brächten. Seine Gehorsamspflicht, die ihm aufgibt, Befehle „gewissenhaft“ auszuführen, fordert – so das Bundesverwaltungsgericht – keinen bedingungslosen, sondern einen mitdenkenden und insbesondere die Folgen der Befehlsausführung – gerade im Hinblick auf die Schranken des geltenden Rechts und die „Grenzmarken“ des eigenen Gewissens – bedenkenden Gehorsam. Ein Soldat darf einen Befehl als unzumutbar verweigern, wenn er sich auf das Grundrecht der Gewissensfreiheit berufen kann. Eine Gewissensentscheidung ist dabei jede ernste sittliche, das heißt an den Kategorien von „Gut“ und „Böse“ orientierte Entscheidung, die für den Einzelnen innerlich unbedingt so verpflichtend ist, dass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte. Diese Grundrechtskonzeption der Gewissensfreiheit schützt die ethische Autonomie des einzelnen Soldaten: seine Souveränität – und individuelle Verantwo nationalen und internationalen Versuche, das schwindende Friedenspotenzial des Grundgesetzes und des Friedensvölkerrechts weiter auszuhöhlen.

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