Beim Stopp des heutiges Ostermarsches in Wattenscheid stellte Christoph Nitsch vom Kuratorium Stelen der Erinnerung das Thema Atomare Bedrohung in den Mittelpunkt seiner Rede: » am 6. August 1945 um 8.15 Uhr Ortszeit entkoppelte die Besatzung des B 29-Bombers „Enola Gay“ die Atombombe „Little Boy“ über der japanischen Stadt Hiroshima. Die erste Atombombe der Menschheitsgeschichte hatte eine Sprengkraft von etwa 13 Kilotonnen TNT und tötete unmittelbar 20000 – 90000 Menschen. Drei Tage später warfen die USA die zweite Atombombe „Fat Man“ über Nagasaki ab, die mit der Sprengkraft von 21 Kilotonnen TNT noch größere Verwüstungen anrichtete. Beide Bomben brachten unendliches Leid über die Menschen Japans.
Am 6. August 2022 gedachte das Bochumer Friedensplenum, wie in jedem Jahr, des Atombombenabwurfs auf Hiroshima und warnte vor der allgegenwärtigen Atomkriegsgefahr. Während Fabian Liedtke aus den Erinnerungen von Shigemi Ideguchi, Hiroshima Überlebender und Großvater von Liedtkes Ehefrau, „Raben und Singvögel waren auch nicht mehr da“ vorlas, zeigten vier Aktive des Friedensplenums auf Tablets eine Dokumentation darüber, was ein Atomwaffeneinsatz für schreckliche Folgen zeitigen würde. Ich verteilte Flugblätter und wurde von einer älteren Frau gefragt, warum wir denn hier seien. Auf meine Antwort entgegnete sie „Ach, das ist ja schon so lange her!“ Mein Einwand, dass unser Leben immer noch von massenhaft Nuklearwaffen bedroht wird, schien sie nicht zu interessieren.
Ist das alles wirklich schon so lange her? Nicht für die Menschen in Hiroshima und Nagasaki, wo immer noch Kinder mit Behinderungen und Fehlbildungen geboren werden. Hätte die ältere Frau diese Frage auch gestellt, wenn die beiden Atombomben die Ziele, für die sie wohl ursprünglich bestimmt waren – Berlin und München – getroffen hätten? Nichts ist so lange her! Und Japan ist auch nicht weit weg! Das Seebeben, der Tsunami und die Kernschmelze der Reaktoren des Kernkraftwerks von Fukushima am 11. März 2011 haben uns das schmerzlich ins Bewusstsein gerückt und schließlich zum deutschen Atomausstieg geführt.
Die Betroffenheit in Deutschland war auch so groß, weil das hochtechnisierte, industrialisierte Japan eine Wirtschaftsstruktur hat, die der unsrigen sehr ähnelt. Mich erinnerten die apokalyptischen Fernsehbilder aus Fukushima an den Katastrophenfilm „Der Untergang Japans“, in dem sich die Nationen bereit erklären, eine Million Kontingentflüchtlinge aufzunehmen, bevor Japan in den Fluten versinkt. Im Fall eines atomaren Krieges wird es keine Kontingentflüchtlinge geben, da überhaupt keine intakten Staaten existieren würden. Die Zerstörung wäre eine Totale und der Untergang der Menschheit eine ausgemachte Sache.
Bislang haben Vernunft und menschlicher Überlebenswille die Oberhand behalten: Chruschtschow und Kennedy gelang es 1962 mittels Geheimdiplomatie, die Kuba-Krise nicht zu einem Atomkrieg eskalieren zu lassen. Über die mutige Befehlsverweigerung des Chefs der sowjetischen Luftabwehr Oberst Stanislaw Petrow im Jahre 1983, die unser aller Leben rettete, habe ich bereits im letzten Jahr gesprochen.
Doch heute ist die Atomkriegsgefahr größer denn je. Bereits Putins Drohung mit dem atomaren Erstschlag stellt ein Verbrechen dar! Hoffen wir, dass den Russen klar ist, dass wir hier vom Ende der Menschheit sprechen. Liegt doch die Sprengkraft heutiger Nuklearwaffen erheblich höher als die der beiden Bomben aus dem Jahre 1945! Wir, als friedensbewegte Menschen, sind dazu aufgefordert, dieses atomare Vernichtungspotential nicht aus dem Gedächtnis der Öffentlichkeit verschwinden zu lassen!
Die deutsche Bundesregierung wäre jederzeit in der Lage, die in Büchel in der Eiffel stationierten Kernwaffen zu demontieren. Erhöhen wir als Friedensbewegung den Druck auf die politisch Verantwortlichen! Beginnen wir mit konsequenter Friedenserziehung bereits in den Schulen! Nein, Frau Stark-Watzinger, „Schulen sind NICHT in der Verantwortung, junge Menschen auf den Kriegsfall vorzubereiten!“ Sparen Sie sich Ihre Mischung aus Aktionismus, Angstmache und Militarismus!
Ich habe im Jahr 1988 Abitur gemacht, in den 80er Jahren, die noch stark von der Friedensbewegung und den damals noch friedensbewegten Grünen geprägt waren, dennoch hatte das keinerlei Einfluss auf die Lerninhalte. Zwar mussten wir in Geschichte nicht mehr sämtliche siegreiche Schlachten preußischer Könige auswendig lernen, aber Bertha von Suttner oder Gandhis Salzmarsch waren auch keine Themen. In Philosophie ging es zwar um Kants kategorischen Imperativ, aber seine Schrift „Zum ewigen Frieden“ wurde mit keinem Wort erwähnt.
Wir sehen, es bleibt also eine Menge zu tun und das nicht nur in den Schulen. Unsere Ostermärsche sind eine wichtige Sache, engagieren wir uns auch weiter gegen eine hochgerüstete Atommacht Europa und für eine deutsche Ratifizierung des Atomwaffensperrvertrages!
Enden möchte ich mit einem Gedicht des heute leider nicht mehr so bekannten Dichters Günter Eich, der den 2. Weltkrieg als Soldat erleben musste:
Sand im Getriebe
Nein, schlaft nicht,
während die Ordner der Welt
geschäftig sind!
Seid misstrauisch gegen ihre Macht,
die sie vorgeben
für euch erwerben zu müssen!
Wacht darüber,
daß eure Herzen nicht leer sind,
wenn mit der Leere eurer Herzen gerechnet wird!
Tut das Unnütze, singt die Lieder,
die man aus eurem Mund nicht erwartet!
Seid unbequem,
seid Sand,
nicht das Öl
im Getriebe der Welt!