Wolfgang Dominik, Kurze Geschichte des Antikriegstages

Die Anfänge

Die Bemühungen um einen Antikriegstag bzw. Friedenstag lassen sich bis 1845 zurückverfolgen. Es waren pazifistisch gesonnene kirchliche Kreise in Großbritannien, denn es dann zum ersten Mal gelang, den letzten Sonntag vor Weihnachten zu einem Friedenssonntag zu machen. Diese Bemühungen ab ca. 1880 motivierten auch deutsche Freie Evangelische Kirchengemeinden, ab ca. 1900 der wachsenden Kriegsgefahr mit einem Friedens- oder Antikriegstag zu begegnen. Die offizielle Evangelische Kirche, die geprägt war durch die Ehe von Thron und Altar mit dem Kaiser als summus episcopus, dem höchsten Bischof quasi per kaiserlicher Geburt, war als kriegstreibende Kraft im Sinne des imperialistischen Kaiserreichs tätig.

Am 22.2.1896 trafen sich George Bernhard Shaw und andere Künstler und sogar einige britische Minister zu einer Kundgebung, auf der eine internationale Schiedsgerichtsbarkeit gefordert wurde, um Streitfragen vor einem Krieg klären zu lassen. Am 18.5 1898 wurde die 1. Haager Friedenskonferenz mit staatlichen Vertretern aus 26 Nationen eröffnet. Dieser 18. Mai wurde regelmäßig bis 1914 als Friedenstag begangen und tauchte sogar nach dem 1. Weltkrieg bis 1932 wieder auf.

Vor allem die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG – 1892 von der 1905 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Bertha von Suttner gegründet) war die treibende Kraft des Antikriegstages. Die DFG, obwohl sie gegen einseitige Abrüstung und Kriegsdienstverweigerung war, wurde sofort als undeutsch, jüdisch, sozialistisch, internationalistisch von allen Parteien einschließlich der SPD diskriminiert und diffamiert.

Der 1. August wurde dann während des 1. Weltkriegs in Dänemark und Schweden als Antikriegstag begangen, da an diesem Tag 1914 die deutsche Kriegsmaschinerie den 1. Weltkrieg begonnen hatte.

Zwischen Kaiserreich und Faschismus

1919 nahm die Friedensbewegung einen kurzfristige und direkt nach dem Krieg, der allein 2 Millionen deutschen Soldaten das Leben kostete, einen durchaus verständlichen Aufschwung. Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky, Albert Einstein u.a. sowie der „Friedensbund der Kriegsteilnehmer“ wollten den 1. August in Zukunft als „Nie wieder Krieg!“ – Tag begehen.Und tatsächlich nahmen bis 1922 auch Hunderttausende von BürgerInnen an den Kundgebungen teil. Das politische Dilemma war, dass bis auf Teile der USPD, SPD und KPD alle anderen Parteien von der Unschuld Deutschlands am 1. Weltkrieg überzeugt waren.

Der Kaiser ging – die Generäle blieben – und mit ihnen die ökonomischen Strukturen mit dem entsprechenden Personal, die für den 1. Weltkrieg verantwortlich waren. Revanchistisches und militaristisches Gedanken(un)gut mit dem Ziel, die „Schmach von Versailles“ zu rächen, wurden von den nationalistischen Parteien, Medien, Kirchen und Schulen und Universitäten erfolgreich verbreitet. Chiliastische „christliche“ Ideen vom „Tausendjährigen Jahr“ machten die Runde. Eine gemeinsame Linie für einen Antikriegstag war nicht mehr zu finden. Sowohl SPD und ADGB als auch die KPD machten seit 1920 in Konkurrenz zueinander und gegen die DFG eigene Antikriegstage. Schon 1923 verbot die SPD ihren Mitgliedern die Teilnahme am „Nie wieder Krieg!“ – Tag, und die KPD veranstaltete ab 1923 ihren Antifaschisten-Tag als Antikriegstag.

1924 feierte die Reichsregierung, die Reichswehr und militaristische Gruppen ihren ersten „Totensonntag“, Hauptredner war der Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD). Von den PazifistInnen wurde dieser deutsches Heldentum bis heute beschwörende Totensonntag „Sobaldalsmöglich: Wieder Krieg!“ – Tag genannt.

In der Folgezeit nahm die Beteiligung an den pazifistischen Veranstaltungen zum 1. August immer mehr ab, nicht zuletzt, weil auch die Friedensorganisationen keine gemeinsamen Ziele und Forderungen mehr fanden.

Mit der wachsenden faschistischen Bewegung gerieten die inzwischen fast durchweg aus bildungsbürgerlichen Schichten bestehenden Friedensorganisationen in den Verdacht, „kommunistische Tarnorganisationen“ zu sein. SPD und KPD riefen 1929 zum letzten Mal zu ihren sog. Friedenstagen auf, natürlich immer mehr getrennt, da der Kampf gegeneinander viel Kraft beanspruchte.

Je weiter der Abstand zum Krieg, desto geringer werden die Erinnerungen an seine Ursachen und Grausamkeiten, beklagte Kurt Tucholsky.

Der Antikriegstag in der BRD

Am 1. September 1957 wurde in der BRD zum ersten Mal der „Antikriegstag“ am 1. September, in Erinnerung an den faschistischen Überfall auf Polen und damit dem Beginn des 2. Weltkriegs, begangen.

Zu diesem Antikriegstag aufgerufen hatte die „Antimilitaristische Aktion“, ein Bündnis der Sozialistischen Jugend – Die Falken, der Solidaritätsjugend, der Naturfreundejugend und der Gruppe der Wehrdienstverweiger. Im Jili 1956 war die allgemeine Wehrpflicht im Bundestag beschlossen worden, die Bundeswehr wurde in die NATO integriert. Als Reaktion hatte die DDR die Wehrpflicht eingeführt, die NVA gegründet und die staatssozialistischen Länder gründeten den „Warschauer Pakt“.

Die praktisch seit 1948/49 betriebene Remilitarisierung, ein Begriff, der nach Auskunft von Klaus Kunold, Bochum, damals bei Strafe verboten war, war praktisch abgeschlossen. Alle Remilitarisierungsgegner wurden kriminalisiert, wie schon in der Weimarer Republik als staatsgefährdende Kommunisten und undeutsche Elemente verdächtigt, wurden inhaftiert, mussten mit Berufsverboten und anderen repressiven Maßnahmen durch den bundesrepublikanischen „Rechtsstaat“ rechnen. Das war auch nicht verwunderlich: Die struturelle ökonomische Restauration war abgeschlossen und der allergrößte Teil derer, die im Faschismus begeistert mitgemacht hatten, war in die Ämter der BRD zurückgekehrt: Justiz, Politik, Schulen und Universitäten, Geheimdienste, Polizei, Bundeswehr, Medien betrieben eine entsprechende ideologische antikommunistische Massenschutzimpfung. Oder wie M. und A. Mitscherlich es ausdrückten: Dass man zumindest mit dem Antikommunismus, dem Antibolschewismus und dem Antisozialismus Hitlers Recht behalten hatte, war Labsal für viele verwundeten deutschen Seelen. Und jetzt durften diese Ideologien mit voller Unterstützung der größten Militärmacht der Welt, der USA, verbreitet werden. Weder SPD noch DGB waren zu gemeinsamen Aktionen der Verweigerungsbewegung „Ohne mich“, mit der Volksbefragungsaktion gegen die Remilitarisierung oder mit Neutralitätsbestrebungen einverstanden.

Dazu kam, dass der 1. September ab 1961 im Schatten der Ostermarschbewegung stand, die immer mehr TeilnehmerInnen anzog: Im Jahre 1968 300 000. Natürlich wurde auch der Ostermarsch sofort auch von der SPD und dem DGB diffamiert: Der alte Vorwurf, „von Moskau ferngesteuert“, zieht immer.

Der Antikriegstag geriet durch den Einmarsch von Teilen der Truppen des sog. Warschauer Paktes in seine größte Krise. Nach Ansicht der SPD-FDP-Regierung (ab 1969) entzog dem Antikriegstag seine Existenznotwendigkeit, denn die angebliche Friedenspolitik Willy Brandts mache ihn überflüssig. Teile des DGB wollten in Zukunft nur noch am „Volkstrauertag“ teilnehmen.

Die USA belehrten aber die Friedensbewegung, dass ein Antikriegstag angesichts der fürchterlichen Massaker, die sie in Vietnam natürlich wie immer bei ihren Kriegen im Namen von freedom and democracy“ anrichteten, notwendiger denn je war. Die Unterstützung der BRD für diesen Krieg wurde von den Bundesregierungen immer betont. Eine Runde des Wettrüstungs jagte die nächste. 1977 war sogar der DGB z.T. bereit, sich wieder am Antikriegstag zu beteiligen und sogar mit dem „Komitee für Frieden und Abrüstung“ (KOFAZ) zusammenzuarbeiten. Vor diesem KOFAZ wurde vorher und bald nachher auch wieder heftigst gewarnt, war doch in ihm auch die 1968 neu gegründete DKP vertreten. Die SPD drohte ihren Mitgliedern mit Parteiausschluss, wenn sie mit dem KOFAZ sich arrangierten.

Da das Wettrüsten aber immer bedenklichere Ausmaße annahm, konnten auch SPD und DGB nicht abseits stehen. 1978 war der Antikriegstag wieder ein zentrales Anliegen des DGB. Am 1.September 1979 war sogar der Hauptredner beim Antikriegstag in Dortmund der DGB-Vorsitzende Heinz Oskar Vetter.

Der Antikriegstag am 1. September wurde 1980 ganz offiziell vom DGB-Vorstand zum Tag für friedenspolitische Aktivitäten der Gewerkschaften deklariert. Sicher hatte so mancher da auch den Wunsch, der unabhängigen Friedensbewegung diesen Tag einfach wegzunehmen und selber mit seinen Inhalten zu besetzen. Es gab insofern immer heftigste Auseinandersetzungen über die politische Ausrichtung des 1. September.

Bei den Großdemonstrationen am 10.10.1981 und am 10.6.1982 in Bonn gegen die Aufstellung neuartiger us-amerikanischer Atomraketen in der BRD nahmen aber auch trotz scharfer Warnung aus der Spitze von SPD und DGB zahlreiche prominente Sozialdemokraten und Gewerkschafter teil.

Der Antikriegstag (und auch der Ostermarsch) dümpelte nach dem Abzug der Atomraketen und vor allem nach den Verträgen über die Reduzierung der Mittelstreckenraketen von 1987/88 etwas kraftlos vor sich hin. Aber eine kleine Minderheit, die die die ökonomischen Rahmenbedingungen von Rüstung und Krieg analysierte und die Kriegsgefahr auch nach 1990/91 keineswegs als gebannt einschätzte, machte weiter.

Und neue Kriege der USA und seit 1999 auch mit direkter Beteiligung Deutschlands machen den Antikriegstag so notwendig wie eh und je.

Immer noch lagern in Deutschland mindestens 20 Atombomben der USA mit der 260fachen Kraft der Hiroshima-Bombe. Immer noch inszenieren die USA ihre Kriege über ihre Stützpunkte in Deutschland, immer noch werden die Kriege im Nahen Osten und Zentralsien von us-amerikanischen Hauptquartieren in Deutschland gesteuert. Deutschland selbst ist inzwischen an 12 Kriegen weltweit beteiligt und die Umrüstung von einer angeblichen Verteidigungsarmee zu einer auch ganz offiziell so deklarierten globalen Interventionsarmee geht weiter.

Die Verwicklung in den Krieg in Afghanistan wird von der Regierung in Berlin immer weiter vorangetrieben. Die USA haben prinzipiell – egal ob sie danach fragen oder nicht – die volle Unterstützung Deutschlands bei einem Überfall auf den Iran.

Die neuen Europa-Verträge schreiben Aufrüstung mit immer weiter wachsenden Milliarden Rüstungsausgaben fest. Diese Aufzählung ließe sich unbegrenzt fortführen.

Der Antikriegstag am 1. September hat seinen Sinn nicht nur nicht verloren, sondern ist notwendiger als je, geht es doch vielleicht bald um atomar geführte Kriege.

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