Bundeswehrwerbung in der Matthias-Claudius-Schule

Für Dienstag, 11. Juni, ist ein Bundeswehroffizier in die Bochumer Matthias-Claudius-Schule eingeladen. Schulen müssen  die Bundeswehr nicht einladen. Die UN-Kinderrechtskonvention verbietet Werbung für Kriegsausbildung bei Minderjährigen. Unterricht sollte nicht für eine einseitige Sicht auf militärische Konfliktlösungen und erst recht nicht für Soldatenwerbung der Bundeswehr genutzt werden.  Krieg und Frieden sind Themen des normalen Unterrichts, dort ist Friedensfähigkeit ein oberstes Lernziel. Das Friedensplenum hat den folgenden Brief an die Schulgemeinde geschickt:

Liebe Lehrerinnen und Lehrer, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Eltern,

Krieg und Frieden sind – weil das Leben der Menschen davon abhängt – Themen der Schule, übergreifend in vielen Schulfächern, in Geschichte und Sozialwissenschaften, den sprachlichen Fächern, Ethik, Philosophie und Religion. Friedensfähigkeit ist dabei ein oberstes Lernziel. An der Matthias-Claudius- Schule um so mehr. Denn das „Kriegslied“ ihres Namenpatrons ist eine der dringendsten Friedensmahnungen in unserer Literaturgeschichte. Es sei voran gestellt:

Matthias Claudius Kriegslied (1778)

`s ist Krieg! `s ist Krieg! O Gottes Engel wehre,

Und rede du darein!

`s ist leider Krieg – und ich begehre

Nicht schuld daran zu sein!

 

Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen

Und blutig, bleich und blaß,

Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen

Und vor mir weinten, was?

 

Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,

Verstümmelt und halbtot

Im Staub sich vor mir wälzten, und mir fluchten,

In ihrer Todesnot?

 

Wenn tausend Väter, Mütter, Bräute,

So glücklich vor dem Krieg,

Nun alle elend, alle arme Leute,

Wehklagten über mich?

 

Wenn Hunger böse Seuch und ihre Nöten

Freund, Freund und Feind ins Grab

Versammelten, und mir zu Ehren krähten

Von einer Leich herab?

 

Was hülf mir Kron und Land und Gold und Ehre?

Die könnten mich nicht freun!

`s ist leider Krieg – und ich begehre

Nicht schuld daran zu sein!

 

„Was sollt ich machen?“ – „Und ich begehre, nicht schuld daran zu sein.“ Was antworten Sie, welche Antwort, liebe Schülerinnen und Schüler, gebt ihr euch selbst, wenn ein Bundeswehroffizier im Rahmen der Berufsorientierung in die Schule kommt, um für Krieg als Beruf zu werben?

Jetzt in einer Zeit, da wir in Deutschland allesamt „kriegstüchtig“ werden sollen. Kriegstüchtigkeit soll jetzt überall „Strahlkraft in die deutsche Gesellschaft“ hinein entfalten. So steht es wörtlich in den neuen „Verteidigungspoltischen Richtlinien“ der Bundesregierung. Sie wirbt um Zustimmung zu grenzenloser Hochrüstung: Sie will unsere Bereitschaft zum Töten und Sterben – mit grausamsten konventionellen Waffen, ausdrücklich nicht ausgenommen der atomare Erstschlag. Atombomben, Waffen für das Weltende also, seien für Kriegstüchtigkeit unverzichtbar, sagt die Regierung. Gerade werden für 12 Milliarden Euro neue Kampfflugzeuge angeschafft, mit denen deutsche Soldaten im Rahmen der nuklearen Teilhabe Deutschlands Atombomben der USA abwerfen sollen, die 150 Kilometer von Bochum entfernt in der Eifel gelagert sind, vielfach stärker als die Hiroshima-Bombe. Manche fordern jetzt sogar, die Europäische Union solle – neben den Atomstaaten der Nato – eine eigenständige Atommacht werden.

Finanziert werden soll Kriegstüchtigkeit durch die Beschneidung des Sozialstaats und Kürzungen bei Bildung, Gesundheit, Umwelt- und Zukunftsprojekten und weniger Hilfen gegen Armut bei uns und weltweit. All diese Grundbedingungen für eine solidarische Gesellschaft und ein gutes Leben hängen an der Kette der Schuldenbremse, damit Kriegstüchtigkeit bezahlbar bleibt.

Nicht schuld daran zu sein“? Das Tor zur Schuld ist für Schülerinnen und Schüler sperrangelweit geöffnet, wenn eine Schule Werbung für Krieg, zum Töten und Sterben also, als Berufsorientierung zulässt. „Nun alle elend, alle arme Leute“, sagt Matthias Claudius. Viele Soldaten „tragen aus dem Einsatz schwere physische oder psychische Verletzungen davon, die danach noch lange ihr Leben sowie das ihrer Angehörigen beeinträchtigen“. Mit dieser Begründung wollen zukünftig SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU einen „Veteranentag“ als Anerkennung und Tost für Kriegsopfer und Soldaten schaffen. Ihnen drohen nicht nur Tod und Verkrüppelung, wie Matthias Claudius drastisch beschreibt. Etwa 20 Prozent aller ehemaligen Soldaten im Auslandseinsatz erkranken heutzutage – zum Teil dauerhaft – an posttraumatischen Belastungsstörungen mit Schwerbehinderungen bis zu 100 Prozent und teils jahrelanger Arbeitsunfähigkeit. Wie wäre das erst in totalen Kriegen, zu denen die Waffen der Hochrüstung ertüchtigen sollen? Sind Schülerinnen und Schüler darüber informiert worden, bevor die Bundeswehr zur Berufsorientierung zugelassen wurde?

Nur jeder zehnte Bundesbürger ist nach einer repräsentativen Umfrage von Yougov dazu bereit, Kriegsdienst wie aktuell in der Ukraine zu leisten. Freiwillig melden würden sich nur 5 Prozent. Fast jeder Vierte würde im Kriegsfall so schnell wie möglich das Land verlassen. Dagegen überlegt die Regierung ernsthaft die allgemeine Wehrpflicht, die seit 2011 nur ausgesetzt ist, wieder in abgewandelter Form zu aktivieren oder sogar eine allgemeine Dienstpflicht – für Männer und Frauen – mit Wahlmöglichkeit für Kriegs- oder Zivildienst einzuführen. Nur so hält sie die geplante Aufstockung der Bundeswehr von 180.000 auf gut 200.000 Soldat*innen für realisierbar. D e s h a l b verstärken Bundes- und Landesregierungen nun den Druck auf die Schulen, Werbung für die Bundeswehr durch Jugendoffiziere und Karriereberater im Unterricht zuzulassen. Ständige Präsenz der Bundeswehr auf mehreren hundert Bildungsmessen im Jahr und in Jobcentern schafft offenbar zu wenig Kriegsbereitschaft. Wenn wir das richtig beobachten, ist in Bochum die Matthias-Claudius-Schule Vorreiterin. Warum gerade die Matthias-Claudius–Schule mit ihrem in vielen Bereichen vorbildlichen und öffentlich ausgezeichneten Schulprogramm? Gehört Kriegstüchtigkeit nun dazu?

Schulen m ü s s e n die Bundeswehr nicht einladen. Krieg und Frieden sind Themen des normalen Unterrichts, dort ist Friedensfähigkeit ein oberstes Lernziel. Für ihre Zukunft und zu ihrem Lebensschutz brauchen unsere Kinder keine Werbung für Kriegstüchtigkeit, sondern vor allem Aufklärung über die totale physische und psychische Vernichtungsgewalt der Kriege unserer Zeit. Lehrerinnen und Lehrer können das. Dazu wird ein Bundeswehroffizier, der für Normalität des Kriegsdienstes werben soll, nichts beitragen. Wie aber die Matthias-Claudius-Schule?

Die UN-Kinderrechtskonvention verbietet Werbung und Kriegsausbildung von Minderjährigen. Die Bundeswehr nimmt dagegen schon 17-Jährige auf: im vorigen Jahr fast 2 000, das waren 10 % der neuen Rekruten. Die lernen dort zu schießen und zu töten. Dasselbe harte militärische Training wie bei Erwachsenen verletzt die ungestörte körperliche und seelische Entwicklung von Jugendlichen. So kündigen 25% der minderjährigen Rekruten schon im ersten halben Jahr. Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes erinnert Deutschland daran, Werbung für die Bundeswehr bei Jugendlichen zu verbieten und Minderjährige unter 18 Jahren nicht zu rekrutieren. Dem hat sich auch die Kinderkommission des Deutschen Bundestages einstimmig angeschlossen. Daran möchten wir erinnern. Hat das für die Matthias-Claudius-Schule keine Bedeutung?

Wie wäre es, wenn Sie am Tag der Bundeswehrwerbung das Kriegslied von Claudius zum Tagesthema an der Schule machen würden? Im Internet finden Sie unter www.deutschelyrik.de/kriegslied-2045.html eine beeindruckende Rezitation. Als Antwort auf die Fragen des Kriegsliedes könnten Sie den Schülerinnen und Schülern das Antikriegslied des Liedermachers Reinhard Mey „Nein, meine Söhne geb` ich nicht“ in passender Form anbieten. Die wohl beeindruckendste Version mit 18,5 Millionen Aufrufen gibt es auf Youtube von Reinhard Mey und Freunden. Der Protest ist zu ergänzen: Auch meine Töchter geb` ich nicht!

 

 

 

 

 

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